Bagrot Tal heute

Erfahrungen und Eindrücke beim Besuch 2008

Allgemein

Das 25 km lange Bagrot Tal hat heute ca. 9000 Einwohner — 1990 waren es 6500. Der Lebensraum erstreckt sich auf sechs Dörfer und die dazugehörigen Sommersiedlungen und Almen in einer Höhe von 1700 – 3300 Metern im Karakorum-Gebirge Nordpakistans. Wirtschaftliche Basis ist die Landwirtschaft. Zunehmend mehr Familien verfügen heute über ein Einkommen durch den saisonalen Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen nach draußen, wie Kartoffeln, Aprikosen, Nüsse und Tomaten, und die Erwerbstätigkeit eines Familienmitglieds, meist in der Armee. Die Mehrheit der Bevölkerung ist jung aufgrund des Kinderreichtums vieler Familien.

In den Familien wird Shina gesprochen, die Muttersprache in Bagrot und weiteren Gebieten der Nordregion. Die Verkehrssprache in Pakistan ist Urdu. Kinder lernen Urdu in den Schulen als erste Fremdsprache. Die Mädchen erst seit den 90er Jahren als die ersten Mädchenschulen geöffnet wurden.

Die Bevölkerung des Tals bekennt sich zur schiitischen Glaubensgemeinschaft. Die Mehrheit der Bevölkerung Pakistans sind Sunniten.

Einzige Zufahrtsstraße in das Bagrot Tal ist eine ungeteerte schmale Jeep-Piste wie bereits bei meinem ersten Besuch 1989, über weite Strecken in einem jämmerlichen Zustand. Für PKWs ist sie streckenweise nicht befahrbar. Die meist überladenen und altersschwachen Passagier- und Transportjeeps schaukeln in den engen Kurven am Hang gefährlich hin und her – jede Fahrt ist ein Abenteuer, auf das man gerne verzichten möchte.

 

Wasser

Auch die Versorgung der Haushalte mit Elektrizität durch ein kleines Wasserkraftwerk ist sehr unzureichend und häufig für Stunden unterbrochen. Es reicht für einige Glühbirnen, kaum für elektrische Geräte wie Kocher, Heizstrahler und einfachste Waschmaschinen. Holz ist weiterhin der
Hauptbrennstoff. Vier von sechs Därfern haben heute Zugang zu relativ sauberem Wasser durch den Bau von Wasserleitungen, die aus Quellen gespeist werden. Aus einem offenen Kanalsystem, das alle Felder, Wiesen, Gärten und Dörfer durchzieht, werden die landwirtschaftlichen Nutzflächen bewässert. Gespeist werden die Kanäle vom Schmelzwasser der umliegenden Berge und Gletscher. Regelmäßige Bewässerung ist lebensnotwendig, nur so ist der Boden fruchtbar.

 

Bagrot mobil

Mobiltelefone halten Einzug in Bagrot. Zweithandgeräte sind kostengünstig, die Mobiltarife gering. Das h1erkömmliche staatliche Telekommunikationsnetz wird angesichts dieses Angebots nicht weiter ausgebaut. Im engen und steilen Tal findet man inmitten der Steinwüsten manchmal einen Ort, der bei geschickter Handhabung Netzempfang bieten. Genutzt werden die Mobiltelefone hauptsächlich außerhalb des Tals. Doch wer zumindest Zahlen lesen kann, schätzt die Möglichkeit auf diese Weise mit Verwandten und Freunden außerhalb in Verbindung zu bleiben.

Zwischen Bagrot und der nur 17 km entfernt gelegenen zentralen Stadt der Region, Gilgit, liegt unmittelbar am Karakorum Highway die Großsiedlung Danyore. Sie hat sich in den vergangenen Jahren aufgrund ihrer Infrastruktur und der günstigen Lage zu einem neuen Zentrum für viele Bagroti entwickelt. Junge wirtschaftlich gut gestellte Familien kaufen heute kleine

 

 

Grundstücke in Danyore oder mieten ein Haus, ziehen mit den schulpflichtigen Kindern um und nutzen das große Angebot an Schulen und Colleges vorort und einer kleine Universität in Gilgit. Die Felder und Gärten in Bagrot werden zur Sicherung der Existenz weiterhin bewirtschaftet. Meist bleiben die älteren Familienmitglieder im Tal. In den Sommer- und Winterferien sowie an Feiertagen setzt regelmäßig die große Wanderung ins Tal ein. Grundnahrungsmittel wie Weizen, Gemüse und Obst aber auch Feuerholz werden aus dem Tal geholt und wenn nötig getauscht, um Bargeldeinkäufe auf dem Markt zu vermeiden.

 

Preisspirale

Die rasanten Preissteigerungen in Pakistan im Laufe dieses Jahres bei nahezu allen Gütern des täglichen Grundbedarfs aber auch Benzin, Zement, Holz und anderen Baumaterialien belasten die Mehrzahl der ohnehin am Existenzminimum lebenden Familien. Die Teuerungsrate beträgt durchschnittlich 25%, bei Lebensmitteln 31%. Wer nicht ausreichend Land und Gärten besitzt, um die Familie selbst zu versorgen und überschüssige Erträge zu verkaufen, muss Nahrungsmittel des täglichen Bedarfs auf dem lokalen und regionalen Markt zukaufen. Dazu kommen die gestiegenen Transportkosten. Angesichts dieser erheblichen Kostensteigerungen haben wir die Lehrergehälter kräftig erhöht. Der günstige Kurs des EURO gegenüber der pakistanischen Rupie gleicht diese Steigerung teilweise wieder aus.

Auch die regelmäßige Anschaffung von Schulkleidung, Büchern, Heften, Stiften etc. und die Gebühren für die Prüfungen an den öffentlichen Colleges belasten viele Haushaltskassen. Für den Besuch der Mädchenschule werden nach wie vor keine Schulgebühren erhoben.

 

Schulalltag

Der Schulbesuch der Mädchen ist heute in den meisten Familien Normalität. Wirwaren diesmal zur Zeit der Jahresexamen Ende April bis Mitte Mai zu Besuch in Bagrot. Die schriftlichen Jahresprüfungen finden für die 1.-8. Klassen unter Aufsicht der Lehrer und Lehrerinnen in den Klassenräumen oder bei schönen Wetter auch im Freien auf dem Schulgelände statt. Die neuen Prüfungsverfahren für alle 9. und 10. Klassen sind dagegen mit einem hohen Aufwand verbunden. Externe Lehrerteams begleitet von einem Polizisten bringen die zentral einheitlichen Klausurfragen in die Prüfungszentren an ausgewählten Hauptschulen und beaufsichtigen die Prüfungen. Nicht autorisierten Personen ist der Zutritt zum Schulgelände während dieser Stunden untersagt. So blieben wir draußen und ermutigten die 57 Examenskandidatinnen der Monika Girls High School am Weg. Die Tage zwischen den einzelnen Fachprüfungen sind unterrichtsfrei und man bereitet sich zu Hause vor. Für die Mädchen kann ich sagen, dass sie neben allen Pflichten im Haushalt sehr eifrig und bis spät in die Nacht büffelten. Nach jeder Prüfung wurden erst einmal die Antworten verglichen, und wir sahen zufriedene und unglückliche Gesichter am Schulweg. Manche der älteren Schülerinnen wurden von ihren Brüdern oder Ehemännern abgeholt, die angesichts vieler schwieriger Prüfungsfragen nicht selten ratlos waren.

 

Monika Schneid

Oktober 2008


monikaschneid@aol.com

 

Weitere Infos: www.bagrote.net

 

 

Bagrot Basics.pdf