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Schulbildung macht frei!
Monika Girls High School & College Bagrot Tal (Nordpakistan), Projektbericht 2011
Ein Jahr nach der RegenflutNachdem wir im vergangenen Jahr bereits einige Wochen vor der großen Flutkatastrophe in Pakistan täglich ungewöhnlich heftige Regenfälle erlebt haben, war es bei unserem Besuch im Herbst trocken. Das Bagrot Tal blieb in diesem Jahr von Regenfluten verschont. Viele Gebäude haben noch erhebliche Wasserschäden vom vergangenen Sommer. Die wenigen Straßen und die meisten Felder, die Lebensgrundlage der Familien sind intakt. Die Ernte an Weizen, Mais, Kartoffeln, Äpfeln, Birnen, Tomaten, Gemüse und Nüssen war in diesem Jahr sehr gut. Die Aprikosenbäume, eine wichtige Ertragsfrucht, haben aufgrund starken Regens während der Blütezeit im Frühjahr kaum Früchte getragen. Die Menschen berichteten, dass sie im vergangenen Sommer in den Dorfmoscheen Schutz vor den Regenmassen gesucht haben und dort tagelang gemeinsam ausharrten. Trotz geringer Vorräte und Einnahmen seien sie irgendwie über den Winter und das Frühjahr gekommen. Viele Familien haben Schulden machen müssen aufgrund der Preiserhöhungen für Nahrungs- und Grundbedarfsmittel und minimaler Ernteerträge. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Kartoffeln, Tomaten und Obst in diesem Sommer und Herbst werden soweit als möglich für die Tilgung verwendet. Die Verkaufspreise waren in diesem Jahr relativ hoch. Insgesamt habe man nochmals Glück im Unglück gehabt. Wir haben während unseres Besuchs im Tal allerdings vermehrt Erdrutsche, Steinschlag an den Steilhängen und kleinere Schlammlawinen gesehen und erlebt, Folgen der erhöhten Regenmengen auch in diesem Jahr.
Schulbildung heuteHeute besuchen 95% der Mädchen im Bagrot Tal eine Schule! Das ist das Ergebnis einer Zählung in diesem Sommer. Vor 20 Jahren waren es gerade einmal eine Handvoll. Zu dieser Entwicklung hat unser Schulprojekt maßgeblich beigetragen: mit dem erstmaligen Angebot des Schulunterrichts für Mädchen, als Maßnahme der Bewusstseinsbildung bei den Eltern und als treibende Kraft für die Gründung staatlicher Mädchengrundschulen in allen Dörfern.Die Monika Girls High SchoolWährend unseres Besuchs im Bagrot Tal im Herbst haben wir die Mädchenschule häufig aufgesucht. 307 Schülerinnen und Studentinnen besuchen die Klassen 1 bis 10. Die Klassen haben inzwischen eine normale Größe erreicht. Das hat bessere Lernbedingungen zur Folge. In allen Mädchengrundschulen des Bagrot Tals gibt es jetzt Unterrichtsangebote für höhere Klassen. Viele Eltern drängen heute auf den Ausbau des Unterrichts vor Ort. In den Vorjahren hatten die Klassen 6 bis 10 häufig zu hohe Schülerinnenzahlen weil diese Klassen in den anderen Dorfschulen nicht existierten. (Die Klassen 9 und 10 hatten in den beiden vergangenen Jahren 88 Schülerinnen.) Auch in diesem Jahr stieg die Zahl der Schülerinnen für einige Monate sprunghaft an. Das Schulgebäude im Nachbardorf konnte zeitweilig nicht genutzt werden. Inzwischen sind die Schülerinnen und Lehrkräfte wieder eingezogen. Unterrichtet werden in den Klassen 6 bis 10 die Fächer Englisch, Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Urdu (Landessprache Pakistans), Sachkunde, Islamische Religion, Geschichte Pakistans, Land- und Hauswirtschaft. Der im Juni 2010 verabredete Förderunterricht während der Schulferien in schwierigen Fächern wie Mathe und Englisch fiel im Sommer erst einmal buchstäblich ins Wasser. In den vergangenen Winter- und Sommerferien wurde die kostenlose Nachhilfe in der Schule angeboten. Die Nachfrage war geringer als erwartet. Die Collegeklassen42 Studentinnen studieren in der 11. und 12. Klasse und im Förderunterricht für die Lehramtsprüfung. Weitere Studentinnen kommen erfahrungsgemäß hinzu, die Anmeldungen werden flexibel gehandhabt. Unterrichtet werden in den Collegeklassen die Fächer Sachkunde, Pädagogik, Soziologie, Englisch, Urdu, Islamische Religion und Geschichte Pakistans. Alle Klassen sind offen für Mädchen aus allen Dörfern in Bagrot. Schulgebühren werden nicht erhoben! Die LehrkräfteIn den Klassen 6 bis 12 unterrichten 15 privat finanzierte Lehrkräfte. 6 staatlich finanzierte Lehrerinnen unterrichten die Klassen 1 - 5 und die Früherziehungsgruppe. Mit den Lehrkräften haben wir viele Gespräche geführt. Die jungen Lehrer im Kollegium wechseln relativ häufig. Sobald sie eine besser bezahlte Stelle oder eine Anstellung im öffentlichen Dienst finden, verlassen sie die Schule. Nachdem sich inzwischen zahlreiche Schulabgängerinnen weitergebildet haben und einige ein Lehramtstraining absolvieren, wollen wir verstärkt weibliche Lehrkräfte für den Unterricht in den höheren Klassen fit machen. In diesem Jahr arbeiten bereits drei junge Frauen als Assistenzlehrerinnen in den Klassen 6 bis 9. Angesichts der enormen Preissteigerungen seit der Flutkatastrophe im Sommer 2010 haben wir die Gehälter der privat finanzierten Lehrkräfte ab Juli um 15% erhöht. Im Frühjahr hatte die Regierung die Gehälter aller öffentlichen Bediensteten erheblich angehoben. Im vergangenen Jahr war uns vom zuständigen Vertreter des Provinzparlaments die vollständige Umsetzung der vor einigen Jahren erfolgten staatlichen Anerkennung der Schule, d.h. die Entsendung einer ausreichenden Zahl von Lehrkräften durch die regionale Schulbehörde in Aussicht gestellt worden. Der Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer steht jedoch bis auf Weiteres an erster Stelle der staatlichen Ausgaben. Die Gehälter der Lehrkräfte für die Klassen 6 bis 12 müssen aus privaten Spenden finanziert werden. Mit dem Ausbau des College-Unterrichts - die Nachfrage steigt mit der zunehmenden Zahl von Schulabsolventinnen - steigen die Ausgaben: Für die Schuljahre 2009-2010 und 2010-2011 betrugen sie jeweils knapp 10.000 EUR. Im Schuljahr 2011-2012 betragen die aus Spenden zu finanzierenden Personalkosten insgesamt 11.000,00 EUR. Die SchülerinnenWährend meiner Besuche im Tal habe ich auch mit den einzelnen Klassen regelmäßig angeregte Gespräche geführt. Hier erlebe ich eine sehr positive Entwicklung. Die Themen der SchUuml;lerinnen reichten heute von Fragen über den Lebensalltag in Deutschland, ihre eigene Lebenssituation bis zu schulischen Belangen. Da ich kein Urdu beherrsche und die Schülerinnen nur wenig Englisch, unterhalten wir uns in einem Mix aus der Sprache Bagrots, das Shina, und Englisch. Grund genug für kleine Missverständnisse und große Heiterkeit auf allen Seiten. Das SchulfestIn diesem Jahr haben die Lehrkräfte und Schülerinnen ein Schulfest organisiert. Alle Schulklassen haben dazu mit Liedern, Reden, Gedichten, Geschichten und Witzen beigetragen, ebenso die Vertreter/-innen der Gemeinschaft mit vielen Reden. Alle Schülerinnen, Lehrkräfte, viele Mütter, Väter und Dorfälteste nahmen daran teil, obwohl die Veranstaltung mitten in die Erntezeit fiel. Am eindrucksvollsten waren die fröhlichen und selbstbewussten Auftritte der Schülerinnen vor einem großen Publikum, ebenso die freie und couragierte Rede einer Mutter, deren Töchter die Schule besuchen, und der ergreifende Erfahrungsbericht einer Lehrerin, die die erste Schülerin im Bagrot Tal war. Ihr Vater hatte sie damals einfach in der Jungenschule angemeldet. Bau eines ComputerraumesWir wollen neben der Finanzierung der Personalkosten den Bau eines zusätzlichen Klassenraumes ermöglichen. Hier soll ein Computerraum eingerichtet werden. Die Schulbehörde hat die technische Ausstattung (17 PCs, Drucker) bereits bewilligt und wird eine Fachlehrkraft zur Verfügung stellen. Nun müssen wir die Mittel für den notwendigen Raum aufbringen. Die Kosten für die Baumaßnahme betragen 5.500,00 EUR. Förderung für benachteiligte MädchenAuch in Bagrot leben Mädchen mit Benachteiligungen, die einen Schulbesuch verhindern. In Zusammenarbeit mit der Berufsbildenden Schule der Heinrich-Haus gGmbH in Neuwied wollen wir versuchen, eine Möglichkeit des Schulbesuchs oder der Alphabetisierung für benachteiligte Mädchen zu schaffen. Für sie wäre dies eine einmalige Chance, persönliche Anerkennung zu erfahren und ihre Stellung zu verbessern. Es ist gleichzeitig ein ganz neuer Bildungsansatz in Bagrot. Zurzeit prüfen die Lehrkräfte vor Ort, wie groß die Gruppe der benachteiligten Mädchen ist und welche besondere Unterstützung für einen Schulbesuch der Einzelnen erforderlich wäre. Was bringt Schulbildung im Alltag der jungen Frauen und Mädchen?Ich beschränke mich hier auf typische Beispiele: Beipackzettel von Medikamenten lesen können, selbst mit einem Arzt sprechen können, Zahlen lesen und rechnen können und im Laden über Preise selbst verhandeln, Unterrichtsinformationen über Hygiene und Gesundheit zuhause anwenden, weiterführende Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten nutzen können. Letzteres beschränkt sich noch auf Lehramt und Gesundheitsberufe, das ist der Anfang. Sich selbständig bewegen können außerhalb der dörflichen Gemeinschaft, z.B. in der nahegelegenen Stadt Gilgit, oder den eigenen Kindern bei den Hausaufgaben helfen können. Aus unserer Sicht klingt dies banal, für Frauen in Bagrot ist es eine ganz neue Erfahrung, diese Situationen ohne männliche Hilfe zu meistern. Schulbildung macht frei! Die Aufgaben der Mädchen und Frauen in Haushalt und Landwirtschaft verringert Schulbildung nicht. Aber ein höheres Heiratsalter und eine geringere Kinderzahl zählen wiederum zu den positiv bewerteten Folgen. Spendenaktivitäten im Jahr 2011
Ich danke allen Beteiligten vielmals für ihren Einsatz und ihre Unterstützung! Herzliche Grüße und ein vielstimmiges Dankeschön senden auch die Schülerinnen und Studentinnen der Monika Girls High School, deren Eltern und die Lehrkräfte. Herzlich grüßt Sie und Euch aus Hamburg! Monika Schneid November 2011
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